Mittwoch, 26. November 2008

Heines "Nachtgedanken"

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn,
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Mein Sehnen und Verlangen wächst.
Die alte Frau hat mich behext,
Ich denke immer an die alte,
Die alte Frau, die Gott erhalte!

Die alte Frau hat mich so lieb,
Und in den Briefen, die sie schrieb,
Seh ich, wie ihre Hand gezittert,
Wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn.
Zwölf lange Jahre flossen hin,
Zwölf lange Jahre sind verflossen,
Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land,
Mit seinen Eichen, seinen Linden,
Werd' ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt -- wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich -- Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual;
Mir ist, als wälzten sich die Leichen,
Auf meine Brust -- Gottlob! Sie weichen!

Gottlob! Durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen
Und lächelt für die deutschen Sorgen.


Heinrich Heine schrieb dieses Gedicht 1843 in Paris, in der 8. oder 9. Klasse habe ich es in der Schule gelernt, immerhin so, daß ich die ersten zwei Strophen vom Fleck weg aufsagen könnte.


165 Jahre später hat dieses Gedicht eine ungeheure Aktualität. Ich mag mich gar nicht mehr fragen, in welcher Welt wir denn leben.


In Berlin-Hellersdorf lebten 2006 fast 50 Prozent der Kinder in Hartz-IV-Familien. Ich glaube nicht, daß es seitdem weniger geworden sind. Als Hohenschönhausenerin habe ich diesen Bezirk Ende der 80iger Jahre entstehen sehen, weiß ich, wieviel Hoffnung und Freude eine Wohnungsvergabe in Berlin-Hellersdorf brachte. Heute haben Plattenbauten einen schlechten Ruf, bis vor 20 Jahren aber boten sie vielen Menschen eine bezahlbare, warme, trockene und helle Wohnung. Heute sind die meisten Kinder in Hellersdorf angewiesen auf die "Arche", ein kirchliches Projekt, das neben Schulspeisung und Hausaufgabenbetreuung den Kindern auch menschliche Wärme bringt. Bei aller Hochachtung für die Arbeit, die in diesem Projekt inzwischen in 4 Großstädten geleistet wird, NEIN, das kann nicht der richtige Weg sein.


Ich bin in die jetzige Gesellschaftsordnung nicht hineingeboren und nicht groß geworden. Vieles ist mir auch nach 18 Jahren völlig unverständlich, stehe ich manchmal einfach hilflos davor. Da wird munter vom Aufschwung gefaselt (meine "Lieblings-FDJlerin" kann das besonders gut), zumindest bis vor 8 Wochen, da werden Arbeitslosenstatistiken veröffentlicht, in den immer weniger Menschen arbeitslos sein sollen, aber nie weniger von Hartz-IV leben. Nur gehts keinem, der nicht der Schicht der "Besserverdienenden" (wo immer die auch beginnt, bei mir sicher noch nicht) wirklich besser.


Andererseits gibt es auch kein Aufbäumen gegen diesen immensen Sozialabbau, der mit Einführung der Gesundheitsreform 2009 nochmal mehr Menschen trifft. Da gibt sich die IG Metall mit einem Tarifabschluß zufrieden, der kaum die Inflationsrate deckt, fängt der Opel-Gesamtbetriebsrat schon jetzt an, für seine Kollegen auf möglichst viel zu verzichten, nur Arbeitsplätze wird auch das nicht nachhaltig sichern, da schafft es in einer Partei, die sich sozialdemokratisch nennt, der rechte Flügel an die Spitze, sind sozialistische Kräfte in der PdL nicht in der Lage, den Weg weg vom Marxismus/Leninismus aufzuhalten geschweige denn zu verhindern. Aus dieser düsteren Aufzählung möchte ich die GdL explizit ausnehmen, aber dafür durfte sie ja auch den gesammelten Haß der gleichgeschalteten Medien aushalten. Warum sich der damalige Vorsitzende der transnet allerdings so gebärdete, wissen wir ja jetzt.


Insofern heißt es wohl, es sind immer noch sehr viele, zu viele mit ihrer Lage im kapitalistischen Deutschland zufrieden, womit die Nachtgedanken noch Jahre lang aktuell bleiben werden.



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