Freitag, 16. Januar 2009

Abgeschrieben aus der UZ

DDR-Witze aufgewärmt. Aber: Wir lachten wenigstens noch


Mit verbissenem Ernst ist derzeit ein als arger Wendehals bekannter Schreiberling der Leipziger Volkszeitung dabei, jeden Tag dieses ja nun noch lange dauernden Jahres einen politischen Witz aus DDR-Zeiten ins Blatt zu rücken. Zu welchem Behufe die Leser schon vor Wochen aufgerufen wurden, ihre Erinnerungen aufzufrischen und sich der kleinen literarisch-satirischen Form und ihrer Produkte zu erinnern, über die wir uns seinerzeit oft kugelrund gelacht haben. Wobei, der LVZ geht es nicht um unser damaliges Lachen, sondern schlicht und einfach darum, die schlimme DDR nun auch noch mit dem Mittel der alltäglichen Witze zu entlarven, zu blamieren, zu verteufeln. Gleich der dritte oder vierte veröffentlichte Leser-Witz jedoch war ein wunderbares Eigentor. Zum Glück hat das der hassblinde verantwortliche Redakteur nicht bemerkt. Also war zu lesen - und auch ich erinnerte mich sofort wieder dieses köstlichen Witzes aus der Ehemaligen -: Zwei Schneeflocken sitzen auf einer Wolke und haben schreckliche Langeweile. "Komm", sagt die eine, "wir fliegen in die DDR, legen uns auf eine Eisenbahnschiene und spielen Chaos".


Noch witziger als dieser alte Witz ist, dass Leipzig derzeit im Schneechaos versinkt. Von den 1600 Straßenkilometern werden generell nur 558 (mehr schlecht als recht) beräumt. (Zum Vergleich: In Hannover beispielsweise werden von 1 200 Straßenkilometern 450 mit 60 Fahrzeugen vom Winterdienst beräumt). Die Anwohner der anderen Straßen müssen halt auf Tauwetter warten. "Das klingt zwar nicht sehr erfreulich, aber das ist so", erklärte die Sprecherin der Leipziger Stadtreinigung. Mit 46 Räumautos ist nicht mehr zu schaffen und für mehr Technik fehlt sowieso das Geld. Womöglich auch die Notwendigkeit, denn wann liegen in unseren Flachlandbreiten schon mal 15 Zentimeter Schnee. Da muss man halt durch. Wobei der Notstand in Leipzig in den vergangenen Jahren wohlgemerkt schon bei nur drei oder vier Zentimetern Schnee ausbrach. Und damit relativiert sich manches Schneechaos in der DDR. Allerdings, auch das muss gesagt werden, Aufforderungen auf Plakaten wie "Nimm den Schnee auf die Schippe" wurden von den DDR-Bürgern verantwortungsbewusst und solidarisch umgesetzt. Heute dagegen wartet man verdrossen - und peinlich humorlos - auf den Schneepflug, der gewiss nicht kommt. Dummerweise hat man keinen Honecker mehr, dem das in die Schuhe zu schieben ist.


Stimmte die Lesart der LVZ-Witze-Aktion, müssten eigentlich 16 Millionen, nun gut, ziehen wir die jüngeren ab, also mindestes 10 Millionen DDR-Bürger permanent im Knast gesessen haben, ob ihrer witzigen Aufmüpfigkeiten. Weshalb auch gleich ein Briefschreiber zu Wort kommt, der glaubt betonen zu müssen, dass die Witze natürlich nie öffentlich, sondern nur im kleinen Kreis erzählt worden wären. Wenn ich einwenden darf: Welches Podium haben denn andernorts Witze, wenn nicht die Freundesrunde, den Stammtisch, das Arbeitskollektiv ... Ich jedenfalls kann mich an keinen Tag erinnern, der nicht von irgendeinem Kollegen mit einem neuen - meist politischen - Witz eingeleitet wurde. Der wurde wieder und wieder erzählt, von Tür zu Tür, bis er auch den letzten erreicht hatte. Beim Mittagessen dann im Speisesaal flog die Pointe dann noch mal von Tisch zu Tisch und das homerische Gelächter hielt lange an. Das waren Ventile, um manchem Unmut die angestaute Luft zu nehmen. Manches war neckisch, manches sehr bitter, worüber wir da lachten. Nur - so viel Bitteres wie ich heute erlebe - und wo sind, bleiben die Witze darüber? Gewiss, im Kabarett gibt es reichlich, aber auf der Straßen unter den Massen? Dem Volk, so scheint es, ist der Humor gründlich versalzen worden.


Ferner wäre zu bedenken, dass die seinerzeit immer wieder kolportierte Variante, die schärfsten Witze würden gar nicht aus des Volkes Mitte, sondern direkt aus dem Zentralkomitee der SED kommen, womöglich doch nicht so weit hergeholt war. Schließlich ist es unleugbar, seit es das ZK nicht mehr gibt, kursieren keine Witze mehr. Und soll bloß keiner sagen, das sei so, weil wir halt ein zufriedenes Volk seien und keinen Grund mehr haben, einen aufgeblasenen Politiker mit einem treffenden Witz zu foppen oder ein kunstvolles Propagandagebäude durch eine winzig kleine Pointe platzen zu lassen?


Irgendwo las ich einmal, dass autoritäre Staaten, wären sie so klug, wie sie es glauben machen wollen, dankbar für politische Witze sein sollten. Schließlich sind lachende Menschen weit weniger gefährlich als zornige. Was die These mit dem ZK als Born der Witze wie auch das hier und heute in ein bedenkenswertes Licht rückt.

Maxi Wartelsteiner (UZ 16.01.2009)

3 Kommentare:

  1. Ein sehr guter Beitrag.

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  2. Stimme Frank Valentin zu.
    Ein Unterschied zwischen DDR-Witzen
    und BRD-Witzen:
    In der DDR wurde zusammengelacht
    über Dinge, die irgendwie alle an-
    gingen,
    in der BRD wird über andere gelacht,
    um sich selbst absetzen zu können.
    Empfinde ich jedenfalls so.
    LG Anne

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  3. Bei uns hat man auch viel Witze erzählt. Ich mag sie immer noch :) Allerdings überlege ich, ob das nicht ein Teil von Informationskrieg war...
    Ich verstehe auch nicht, wieso sagen jetzt manche, dass er "verboten" war Witze zu erzählen, wo das doch alle ohne Ausnahme und überall gemacht haben.
    Also wirklich Lügen.
    Ich will dazu auch einen sovjetischen Witz schreiben:
    Die Amerikaner sind am Mond gelandet. Brezhnev ruft Politbüro und verkündet:
    - Amerikaner gehen vorwärts, wir sollen handeln. Unsere Kosmonauten fliegen und landen auf der Sonne!
    - Aber Leonid Iljich, da ist doch zu heiß, da werden sie verbrannt!
    - Keine Panik! Die Partei hat alles vorausgesehen: sie fliegen in der Nacht.

    (was soll ich noch sagen: besser Kosmonauten und Witze, als keine Witze und schon fast keine Kosmonauten wir jetzt).
    Obwohl jetzt in Russland gibt es auch viele Witze über Regierung und so.

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