Die "Würde des Menschen"
ist bei Hartz IV nicht vorgesehen
Am vergangenen Wochenende (23./24. Januar 2010, Anm. J. B.) trafen sich im ostwestfälischen Lage etwa 80 Teilnehmer aus Erwerbslosengruppen, um die Auswirkungen von nunmehr fünf Jahren Hartz IV zu diskutieren und nach Widerstandsformen zu suchen. Zusätzlich gab es mehrere wissenschaftliche Vorträge zum Thema. Dass ein immenser Diskussions- und Austauschbedarf besteht, wurde sowohl nach den jeweiligen Vorträgen deutlich als auch in den verschiedenen Arbeitsgruppen.
Eines wurde immer wieder deutlich: Hartz IV macht Angst. Es wird als ein Gesetz wahrgenommen, das in erster Linie Repression bedeutet. Statt zu fördern, ist alles so gestrickt, dass die Psyche der vom Gesetz Betroffenen häufig zerbricht. Statt die Ursache der Arbeitslosigkeit im gesellschaftlichen System zu suchen, wird die Arbeitslosigkeit als individuelles Problem betrachtet. Darüber hinaus hat die Angst vor Hartz IV zur Folge, dass auf dem Arbeitsmarkt die Bereitschaft zu Zugeständnissen, die vor Jahren noch undenkbar gewesen sind, zugenommen hat. Es wird von sich noch in Arbeit Befindenden hingenommen, dass kein Urlaubsgeld mehr gezahlt wird, die Arbeitszeit verlängert wird etc. Die ganze Handhabung der Hartz-IV-Gesetzgebung ist so aufgebaut, dass es für Arbeitende nichts Schlimmeres gibt, als eben die Arbeit zu verlieren und "abzurutschen" und quasi zum Almosenempfänger zu werden.
Herausragend in den Diskussionen war auch das für den 9. Februar zu erwartende Urteil des Bundessozialgerichtes im Hinblick auf die Höhe der Regelsätze. Hierzu wurde beschlossen, dass noch möglichst vielen Menschen von der Möglichkeit eines Überprüfungsantrages nach §44 SGB X Mitteilung gemacht werden sollte. Noch einen Tag vor Urteilssprechung können die Anträge bei den jeweils zuständigen Argen abgegeben werden. Natürlich gegen Empfangsbekenntnis oder mit Fax, wo der Sendebericht ausgedruckt wird. Insidern ist ja bekannt, das häufig Anträge verlustig gehen. Selbst wenn es zu keiner Nachzahlung kommt, bedeutet es doch für die "Ämter" nachhaltige Beschäftigung! Es gab viele bedenkenswerte Äußerungen während des Seminars, eine ist mir jedoch besonders hängen geblieben und zwar die des Referenten von der Uni Marburg, Dr. Segbers, Professor für Sozialethik. Er sprach über die immer häufiger gebrauchte Vokabel der "gesellschaftlichen Teilhabe". Was bedeutet Teilhabe? Was auf den ersten, flüchtigen Blick noch für viele positiv klingen mag, bedeutet eigentlich nichts anderes, als das den Menschen "von oben herab", quasi feudal, etwas zugestanden wird. Es beinhaltet Passivität desjenigen, der "etwas bekommt". Er hat sich zufrieden zu geben, mit dem, was man ihm gibt. An etwas teilnehmen, Anteil nehmen, ist hingegen aktiv. Es ist sicher kein sprachlicher Zufall, dass so nicht mehr formuliert wird. Auch dass "die Würde des Menschen" - im alten SGB noch schriftlich fixiert und im SGB XII heute noch vorhanden - im SGB II (Hartz IV) nicht mehr vorkommt, ist bezeichnend für dieses Gesetz.
Im Schlussplenum, in dem zuerst alle Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse vorstellten, wurde abschließend ein gemeinsames Vorgehen für die nächsten Wochen verabschiedet:
Am 8. 2. 2010: "Kleine Zahltage" vor den ARGEn, an denen nochmal möglichst viele Überprüfungsanträge zum Regelsatz gestellt werden.
Am 9. 2. 2010: Demonstration und Pressekonferenz in Kassel, wo das Urteil zu den Regelsätzen gesprochen wird, dezentrale Aktionen vor den ARGEn.
Intervention gegen eine beabsichtigte Pauschalierung der KDU (Kosten der Unterkunft) Antrag an die Regierung, die Erhöhung des Kindergeldes nicht von den bereits gezahlten Regelsätzen abzuziehen (hier können, wenn das keinen Erfolg hat, die Hartz-IV-Bezieher aber einer Verrechnung widersprechen).
Die Notwendigkeit der Regelsatzerhöhung weiter propagieren.
Das Sanktionsmoratorium unterstützen.
Auf einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro/Std. steuerfrei hinwirken.
Verkürzung der Arbeitszeit!
Am Ende möchte ich noch eine Kritik an der Veranstaltung loswerden, die von vielen mitgetragen wird: Beim nächsten Mal etwas weniger festgelegtes Programm und dafür etwas mehr Freiraum für Diskussion, woraus sich auch Vernetzungsmöglichkeiten, um die es uns ja allen geht, ergeben können.
Anne Kraschinski
Der Artikel ist am 29. Januar 2010 in der UZ erschienen, ich bedanke mich bei Anne, daß ich ihn hier veröffentlichen durfte.
...."Statt die Ursache der Arbeitslosigkeit im gesellschaftlichen System zu suchen, wird die Arbeitslosigkeit als individuelles Problem betrachtet."....
AntwortenLöschenDazu folender Link:
http://books.google.de/books?id=2GXPZZYWzkcC&dq=Jeremy+Rifkin&printsec=frontcover&source=an&hl=de&ei=Yi1vS8iFG4GKnQPY1KHJBA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=5&ved=0CCUQ6AEwBA#v=onepage&q=&f=false
auweia -hoffentlich läßt sich das kopieren und öffnen
Rifkin -ist kein Marxist aber ein sehr realistischer Ökonom
Viele Grüße an Anne
Ich möchte mich für einen Fehler entschuldigen: Am Dienstag spricht nicht das Bundessozialgericht das Urteil, sondern das Bundesverfassungsgericht((
AntwortenLöschenLG Anne
(Danke für die Grüße, lieber Frank!)