Jetzt am Wochenende findet der 19. Parteitag der DKP in Frankfurt/Main statt. Eigentlich habe ich gegoogelt, um einige Anträge, eine Deligierte usw. zu finden, um vielleicht auch ein Gespür dafür zu bekommen, wohin die Reise der Deutschen Kommunistischen Partei geht.
Dabei fand ich eine Berichterstattung in der "Zeit" vom 3. Parteitag der DKP im November 1973.
Wenn auch der Beitrag verständlicherweise nicht gerade kommunistenfreundlkich ist, so hat es der Parteitag immerhin in die bürgerliche Presse geschafft:
"DKP-Parteitag
Proletarier im Luxushotel
Die Kommunisten beschließen den Ausbruch aus den Rathäusern/Von Hans Schueier
Die Alten beschwören ihn immer wieder: den Heros und Märtyrer der deutschen Kommunisten, Ernst „Teddy" Thälmann. Aber wenn sie Seinen Namen nennen, klingt es, als wünschten sie sich fort aus diesem Saal, aus den mit dicken Teppichen ausgelegten Foyers, weg vom sterilen Prunk des Hamburger Congress Centrums. Zu bürgerlich, zu elegant und wohlhabend nimmt sich der dritte Parteitag der DKP in seiner Nobelherberge neben Loew's Hotel Plaza am Dammtorbahnhof aus. Wie bescheiden dagegen die Erinnerungsstätte an Ernst Thälmann in der Tarpenbekstraße 65, der ehemaligen Ladenwohnung eines Schuhmachers, zu der mancher alte Kampfgenosse in den Kongreßpausen pilgert.
Mustergültige Ordnung, gepflegtes Essen, hervorragende Organisation, Weitläufigkeit bestimmen derweil die Tagung. Fernsehen, Rundfunk und Presse sind „akkreditiert" und werden mit den Texten der Begrüßungsansprachen von 23 Gastdelegationen synchron versorgt, hoch während die Redner sprechen. Draußen, in der Wandelhalle, wähnt man sich beim Treffen einer einflußreichen Mittelstandsvereinigung. Nur die jugendlichen Einweiser tragen lange Haare und abgewetzte Jeans. Der Parteitag wirkt eher wie eine Schaustellung materiellen Selbstbewußtseins: „Seht, wir sind auch wer!" denn wie eine machtvolle Demonstration der seit nunmehr fünf Jahren unter neuer Fahne und altem Bekenntnis geeinten Arbeiterklasse.
Max Reimann, Senior der Versammlung, ehemaliger Vorsitzender der KPD und DKP-„Ehrenpräsident", ergeht sich angesichts der Glückwünsche zum eben vollendeten 75. Lebensjahr in Erinnerungen. Ihn, den Soldaten des Ersten Weltkrieges, habe der Funkspruch Lenins „An alle — schließt Frieden!" zum Kommunisten gemacht. Er ruft die Kampfzeit der zwanziger Jahre ins Gedächtnis und verpflichtet die Partei auf Thälmanns Wort, „daß die positive Einstellung zur Sowjetunion das Kriterium jedes wirklichen Kommunisten ist". Da ist der Bezug zur Gegenwart hergestellt. Der Saal dröhnt unter minutenlangem, rhythmischem Applaus-
Er dröhnt noch einmal, als Reimaiin die seltsam anachronistische Forderung erhebt: „Das KPD-Verbot muß aufgehoben werden." Sie kehrt in den drei Tagen des Hamburger DKP-Festiväls mehrmals wieder, und immer ist es, als bräche eine alte Wunde auf, obgleich doch die bundesdeutschen Kommunisten beim Gedanken an das Verbotsurteil von 1956 unter nichts anderem leiden können als an der Verschiebung der Buchstaben in ihrem Parteinamen. Sie sind inzwischen fest etabliert und in ihrem Bestand als Partei unangefochten; sie haben annähernd 40 000 Mitglieder — bei ständig steigendem Zugang; ihre Studentenorganisation, der Marxistische Studentenbund Spartakus hält mit 2000 Mitgliedern beherrschende Positionen im Verband deutscher Studentenschaften und den Studentenausschüssen der meisten Hochschulen. Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) stellt mit 10 000 Angehörigen ein sicheres Nachwuchsreservoir. Wenn heute die. alte KPD wieder zugelassen würde —- was verfassungsrechtlich nicht möglich ist —, brauchten die „Deutschen Kommunisten" nur einmal mehr ihre Buchstabenfolge zu tauschen, um nächst der Kontinuität auch die Identität wiederherzustellen. Sie sind eben nicht nur Kommunisten, sie sind auch Romantiker.
Hoffnung und Stolz der Partei ist ihre neugewonnene Jugendlichkeit, von den 619 ordentlichen Delegierten und 253 Gastdelegierten des Parteitages noch um ein paar Jahre gegenüber dem Mitgliederdurchschnitt unterboten. Ein knappes Drittel ist unter 30, der Jüngste 17. Niemand weiß, wie viele Aktivisten und Mitläufer der Protestbewegung von 1968 inzwischen zu den orthodoxen Kommunisten in der DKP gestoßen sind. Doch sie müssen einen tiefen Wandel durchgemacht haben. Diese Parteijugend ist streng diszipliniert, linientreu wie die FDJ, eingeschworen auf den Apparat. Sie produziert Aktivität, aber keinerlei Originalität. Wenn es zwischen ihr und dem Establishment der Älteren Meinungsunterschiede oder gar Friktionen gäbe wie in allen anderen Parteien der Bundesrepublik — sie hätten in Hamburg zumindest andeutungsweise hervortreten müssen. Keine Spur davon. Die DKP hat keine Jusos, keine Judos und noch nicht einmal eine sanft aufbegehrende Junge Union. Ist sie darob glücklich zu schätzen? Sie ist es sicher unter dem Blickwinkel ihrer Gönner und Förderer aus der Sowjetunion und der DDR, die Linientreue von 17 bis 70 zur Bedingung der ideologischen und materiellen Subvention gemacht haben.
Kurt Hager, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, — er leitet diesmal die DDR-Delegation, nicht mehr, wie noch 1971, der Propagandist Albert Norden —■ kann sich deshalb vollkommen zu Hause fühlen. Er ist zu Gast beim westdeutschen Ableger seiner Partei. Sie folgt ihm, und sie fragt nicht nach dem Gleichgewicht, als er betont auf die gewachsene militärische Stärke der sozialistischen Staatengemeinschaft verweist. Der Parteitag wird dennoch den Rückzug der Bundesrepublik aus der Nato fordern und den Verteidigungsminister Georg Leber zu den Sozialdemokraten zählen, mit denen nicht zu reden ist, weil er den Wehretat verwaltet.
Über die Ostverträge, „ihre strikte Einhaltung und volle Anwendung" im Sinne der Interpretation der DDR ist man sich einig, natürlich auch mit der sowjetischen Delegation. Hager bekommt stürmischen Beifall, als er in leichter Abwandlung Herbert Wehner zitiert: „Es empfiehlt sich doch für niemand, mit neuen Verträgen alte Politik zu machen."
Auf einem kommunistischen Parteitag gibt es naturgemäß keine Debatten, schon gar keine Kontroversen, sondern nur „Diskussionsbeiträge". Einige sind dennoch interessant, fast alle weisen auf die innenpolitischen Zielund Schwerpunkte der künftigen Parteiarbeit hin: Es gilt, die Basis in den Gemeinden und Betrieben zu verbreitern und die Aktionseinheit mit Sozialdemokraten und selbst „christlichen Arbeitnehmern" überall herzustellen, wo dies möglich ist. Ein junger Genosse aus der niedersächsischen 3800-Seelen-Gemeinde Hardegseh am Rande des Solling belegt beispielhaft, was Kommunisten auf kommunaler Basis leisten können: Zum erstenmal seit über 20 Jahren hat seine DKP-Ortsgruppe die ganze Ortsjugend auf die Beine gebrächt, als es darum ging, gegen die. Errichtung eines exklusiven Reiterhotels an Stelle eines Jugenderholüngsheims auf dem Burggelände von Hardegsen zu demonstrieren. Der DKP-Kreisvorsitzende Manfred Dressel verweist auf den vielfältigen Nutzen der Beteiligung an Bürgerinitiativen: „Daß es sie gibt, ist ein Zeichen des schwindenden Vertrauens in die Parlamente." In Langwasser bei Nürnberg sei es ihm und seinen Leuten über eine Bürgerinitiative gelungen, den Bau eines Truppenübungsplatzes für die US-Armee zu verhindern, und zwar „unter offenem Auftreten als Kommunisten". Der CSU-Landrat habe geglaubt, die übrigen Bürger mit seinem demonstrativen Ausscheiden ebenfalls zum Abspringen bewegen zu können. „Aber sie blieben, weil sie wußten, daß wir angefangen hatten."
Legalität, Bekenntnis zur Partei und ihren Nahzielen ist überhaupt ein beherrschendes Motto. Der Nürnberger DKP-Stadtrat Stiefvater ergänzt seinen Genossen mit großstädtischer Erfahrung: „Wir haben uns intensiv um die in Nürnberg fehlenden 24 000 Kindergartenplätze gekümmert. Bald sprach die ganze Stadt von uns als der Kindergartenpartei. Das ist gut so."
■ Die DKP will dennoch keine Rathauspartei bleiben, obgleich sie bisher nur in Kommunalparlamenten vertreten ist. Sie wird sich an den Landtagswahlen des nächsten Jahres beteiligen, und sie wird auch außerparlamentarisch alles tun, um sich gebührend in Szene zu setzen. Ab sofort kann jeder der drei Millionen Gastarbeiter Mitglied werden. Neben der SDAJ wird es eine bundesweite Kinderorganisation geben. Kein wilder Streik mehr ohne DKP. Aktionseinheit mit sozialdemokratischen Arbeitnehmern innerhalb und außerhalb der Betriebe ungeachtet aller Abgrenzungsbeschlüsse der SPD. Die Umarmungsstrategie ist den Kommunisten ein und alles. Sie gilt freilich nur für den gemeinsamen Kampf gegen den „staatsmonopolistischen Kapitalismus"; auf ideologischem Gebiet gibt es keine Konzessionen. Da wird sogar Bundeskanzler Willy Brandt wie ein Kartenkönig in zwei Hälften geteilt: der „gute" Ostpolitiker auf der einen, der Büttel des Monopolkapitals auf der anderen Seite. DKP- Vorstandsmitglied Robert Steigerwald sagt der SPD, was die Kommunisten vom „demokratischen Sozialismus" halten: Ein „stinkender Kadaver ... alt gewordene Huren, als frische, neue Schönheiten auf den Strich geschickt".
So klar wie der Kurs der DKP ist das Abstimmungsergebnis des Hamburger Parteitages bei der Neuwahl ihres Vorsitzenden und des Vorstandes. Kurt Bachmann (64), neben Max Reimann einer der letzten der alten Garde — er hat für seine Überzeugung in Buchenwald gelitten und seine erste Frau in Auschwitz verloren —, räumte den ersten Platz für seinen in Moskau zum Volkswirt ausgebildeten bisherigen Stellvertreter Herbert Mies (ohne Gegenstimme). Mies war schon Funktionär der Nachkriegs-KPD. Neuer Stellvertreter ist der ehemalige FDJ-Funktionär Hermann Gautier. Beide gewährleisten strikten Kurs im Kielwasser der SED. Von den 78 Mitgliedern des neu gewählten Parteivorstandes erhielt keines weniger als 604 von 608 abgegebenen gültigen Stimmen."
Aus: "Die Zeit" 09.11.1973 von Hans Schueier
Es wird interessant sein, am Montag zu erkunden, wie die Berichterstattung der bürgerlichen Presse in diesem Jahr aussieht.